„Wir haben seinen Stern im Osten gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“ (vgl. Mat 2,2)
Diese Worte stammen von den geheimnisvollen „Weisen“, die sich nach dem Bericht im Matthäusevangelium auf eine lange Reise zum neugeborenen Jesus begeben hatten. Sie waren nur wenige, die einem kleinen Licht folgten, das sie zu einem anderen, einem großen und alles erhellenden Licht führte: dem neugeborenen König der Welt. Mehr wissen wir nicht über sie, aber die Erzählung kann zum Nachdenken bringen. In ihr stecken viele Anregungen für das christliche Leben.
Dieses Wort wurde von Christinnen und Christen aus dem Nahen Osten als Motto für die „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ ausgewählt.[1] Diese Woche gibt uns wieder die Gelegenheit, uns miteinander auf den Weg zu machen, offen füreinander zu sein und Zeugnis zu geben von der Liebe Gottes zu jedem Menschen und jedem Volk der Erde.
„Wir haben seinen Stern im Osten gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“
So steht es in der Einführung zum Thema der diesjährigen Gebetswoche: „Das Erscheinen des Sterns am Himmel von Judäa ist ein lang ersehntes Zeichen der Hoffnung, das die Sterndeuter und letztlich alle Völker der Erde zu dem Ort führt, an dem der wahre König und Heiland offenbart wird. Dieser Stern ist ein Geschenk, ein Zeichen für Gottes liebevolle Gegenwart bei allen Menschen. ... Die Sterndeuter offenbaren uns die von Gott gewollte Einheit aller Nationen. Sie kommen aus fernen Ländern und repräsentieren verschiedene Kulturen, aber es bewegt sie dieselbe Sehnsucht, den neugeborenen König zu sehen, und so kommen sie in dem kleinen Haus in Bethlehem zusammen, um ihn anzubeten und ihre Gaben zu bringen. Christen sind berufen, in der Welt ein Zeichen dafür zu sein, dass Gott die Einheit bewirkt, die er will. Christen gehören verschiedenen Kulturen und Völkern an und sprechen unterschiedliche Sprachen, aber gemeinsam suchen sie Christus und sehnen sich danach, ihn anzubeten. Sie sind ein Volk, dem aufgetragen ist, ein Zeichen zu sein wie der Stern, die Menschheit in ihrem Hunger nach Gott zu leiten, alle zu Christus zu führen und das Werkzeug zu sein, mit dem Gott die Einheit aller Völker bewirkt.“[2]
Der Stern, dem die Weisen folgten, leuchtet für alle, er ist das Licht in uns, wenn unser Gewissen von der Liebe erhellt ist. Jede und jeder von uns kann den Blick schärfen, um es zu finden, sich aufmachen, um ihm zu folgen, und das Ziel der Begegnung mit Gott und dem Nächsten in unserem alltäglichen Leben erreichen, um mit allen unsere Reichtümer zu teilen.
„Wir haben seinen Stern im Osten gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“
Gott die Ehre zu geben bedeutet, uns vor ihm so zu erkennen, wie wir sind: klein, zerbrechlich, seiner Vergebung und Barmherzigkeit bedürftig. In dieser Haltung werden wir dann auch den Mitmenschen begegnen.
Was es bedeutet, Gott anzubeten, können uns diese Worte von Chiara Lubich verstehen helfen: „Es ist die innere Haltung, allein auf ihn ausgerichtet zu sein. Anbeten heißt, Gott zu sagen: ‚Du bist alles‘, ihn also als denjenigen anzuerkennen, der er ist. Wir haben das große Glück, dies mit unserem Leben bezeugen zu können. ... Es gibt einen sicheren Weg, um mit unserem Leben das eigene Nichts und die Größe Gottes verkünden zu können: Um selbstbezogenen Gedanken keinen Raum zu geben, reicht es aus, an Gott zu denken und uns seine Gedanken zu eigen zu machen, die wir im Evangelium finden. Um egoistischem Streben keine Chance zu lassen, genügt es, den Willen Gottes zu tun, wie er sich uns Moment für Moment zeigt. Um unsere ungeordneten Gefühle zu bekämpfen, ist es ausreichend, die Liebe zu Gott im Herzen zu tragen und unsere Mitmenschen zu lieben, indem wir ihre Sorgen, Mühen, Probleme und Freuden teilen.
Wenn wir beständig ‚Liebe sind‘, leben wir nicht mehr für uns selbst - fast, ohne die damit verbundene Mühe zu spüren. Durch diese Art, ‚Nichts zu sein‘ bezeugen wir die Überlegenheit Gottes. Er ist alles für uns, und wir können ihn wahrhaft anbeten, uns allein vor ihm niederwerfen.“[3]
„Wir haben seinen Stern im Osten gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“
Dazu schreiben die Christinnen und Christen aus dem Nahen Osten: „Nachdem sie dem Heiland begegnet sind und ihn gemeinsam angebetet haben, kehren die Sterndeuter auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurück, denn sie waren im Traum vor Herodes gewarnt worden. Ebenso muss die Gemeinschaft, die wir in unserem gemeinsamen Gebet erfahren, uns dazu inspirieren, auf neuen Wegen in unser Leben, unsere Kirchen und unsere Welt zurückzukehren. ... Es gehört zum Dienst am Evangelium heute, die Würde des Menschen zu verteidigen, besonders die der Ärmsten, Schwächsten und Ausgegrenzten. ... Der neue Weg der Kirchen ist der Weg der sichtbaren Einheit, den wir aufopferungsvoll und mit Mut und Tapferkeit suchen, damit Tag für Tag ‚Gott alles in allem sei‘ (1 Kor 15,28).“2
Letizia Magri
© Alle Rechte an der deutschen Übersetzung beim Verlag NEUE STADT, München
Das „Wort des Lebens“ erscheint auch in der Zeitschrift NEUE STADT. Eine kostenlose Probenummer oder ein Abonnement (jährlich € 42,- bzw. CHF 59.50) können Sie bestellen bei: Redaktion NEUE STADT, Hainbuchenstraße 4, 86316 Friedberg, redaktion@neuestadt.com oder bei Verlag Neue Stadt, Heidengasse 5, 6340 Baar, verlag@neuestadt.ch
[1] Das Motto ist zusammengesetzt aus Matthäus 2,1 und Matthäus 2,2. Auf der Nordhälfte der Erde wird die Gebetswoche für die Einheit der Christen üblicherweise vom 18. bis 25. Januar begangen. Auf der Südhälfte begehen die Kirchen die Gebetswoche oft an Pfingsten, einem Fest, das für die Einheit der Kirche steht.
[2] Vgl. Einführung in das Thema der Gebetswoche für die Einheit der Christen 2022, www.oekumene-ack.de/themen/geistliche-oekumene/gebetswoche/2022/
[3] Chiara Lubich, „Wort des Lebens“, Februar 2005