"Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!"
Diese Worte sind an mich gerichtet. Der Herr kommt, und ich möchte bereit sein, ihn aufzunehmen. Jeden Tag bete ich: „Komm, Herr Jesus“1. Und er antwortet mir: „Ja, ich komme bald“2. Er steht an der Tür meines Lebens und klopft an.3 Und ich will ihn nicht draußen stehen lassen.
Die Einladung, den kommenden Herrn aufzunehmen, stammt von Johannes dem Täufer. Er forderte damals die Juden dazu auf, ihre Sünden zu bekennen, umzukehren und ihr Leben zu ändern. Er war sich sicher, dass der Messias bald kommen würde. Aber würde das Volk, das seit Jahrhunderten auf ihn wartete, ihn auch erkennen, auf ihn hören und ihm folgen? Johannes wusste, dass man sich auf das Kommen des Herrn vorbereiten muss. Deshalb rief er so eindringlich:
„Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!“
Diese Worte sind an mich gerichtet, weil Jesus jeden Tag kommen will. Jeden Tag klopft er an meine Tür, und auch mir fällt es, wie damals den Juden, nicht leicht, ihn zu erkennen. Damals zeigte er sich entgegen allen Erwartungen als bescheidener Zimmermann aus dem unbedeutenden Nazareth. Heute steht er vielleicht vor mir als Flüchtling, als Arbeitsloser, als Chef, als Klassenkamerad, als Familienmitglied, als eine Person, bei der ich zunächst einmal so gar nicht an ihn denken würde. Die feine Stimme, mit der er uns dazu einlädt, zu vergeben, Vertrauen und Freundschaft zu schenken, uns nicht auf Wege einzulassen, die dem Evangelium widersprechen, wird allzu oft übertönt. Andere Stimmen wollen uns dazu verleiten, mit unlauteren Mitteln zu arbeiten, es den anderen heimzuzahlen oder sie zu verachten.
Da passt das Bild von einer holprigen und kurvenreichen Straße, die es Gott nicht gerade leicht macht, zu uns zu kommen. Es gibt viele Formen von Engstirnigkeit und Selbstsucht, die unseren Blick für ihn trüben und unsere Ohren unempfänglich machen für seine Stimme. Sie alle aufzuzählen würde uns nicht weiterbringen. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, was unserer Begegnung mit Jesus, mit seinem Wort, mit den Menschen, mit denen er sich identifiziert, im Weg steht. Stellen wir uns also der Einladung, die das „Wort des Lebens“ an uns richtet:
„Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!“
Was haben wir zu ebnen? Vielleicht ein Urteil: Statt einem Menschen auszuweichen, könnten wir neu auf ihn zugehen, ihn zu verstehen suchen und ihm unsere Unterstützung anbieten. Oder Verhaltensweisen: Statt mit unseren Freunden einen oberflächlichen Umgang zu pflegen, aufbrausende und unkontrollierte Reaktionen zu zeigen oder Gesetze und Vorschriften nach unserem eigenen Ermessen auszulegen, könnten wir auch einmal Unverständnis ertragen, um eine Beziehung zu retten, oder uns aktiv um geschwisterliche Beziehungen in unserem Lebensumfeld bemühen.
Das Wort, das uns diesen Monat vorgeschlagen wird, ist anspruchsvoll und unmissverständlich. Es hat aber auch etwas sehr Befreiendes, weil es uns einlädt, unser Leben zu ändern und uns auf die Begegnung mit Jesus vorzubereiten, der in uns leben und unser Handeln und Lieben prägen will.
Dieses Wort kann aber noch viel mehr, wenn wir uns wirklich darauf einlassen: Es kann den Raum dafür schaffen, dass Jesus mitten unter uns Wohnung nimmt4: in unserer Gemeinschaft, in unserer Familie, in den Gruppen, in denen wir tätig sind.
Helfen wir uns also gegenseitig dabei, die Wege unserer Beziehungen zu ebnen und alle Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Leben wir jene Barmherzigkeit, zu der auch Papst Franziskus mit der Ausrufung des Heiligen Jahres eingeladen5 hat. So können wir gemeinsam zu einem Haus, einer Familie werden, die Gott aufnimmt.
An Weihnachten kann Jesus auf einer ebenen Straße den Weg zu uns finden und mitten unter uns bleiben.
Fabio Ciardi
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1) Offenbarung 22,20; 2) a.a.O.; 3) vgl. Offenbarung 3,20; 4) vgl. Johannes1,14;
5) Im Mittelpunkt des „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“ soll nach dem Wunsch von Papst Franziskus ein verstärktes Augenmerk auf konkrete Gesten der Nächstenliebe für Arme und Ausgegrenzte stehen. Mit den Worten von Frère Roger Schutz (1915 - 2005), dem Gründer und Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, gesprochen: „Am Abend unseres Lebens wird es die Liebe sein, nach der wir beurteilt werden, die Liebe, die wir allmählich in uns haben wachsen und sich entfalten lassen, in Barmherzigkeit für jeden Menschen.“
© Alle Rechte an der deutschen Übersetzung beim Verlag NEUE STADT, München
Das „Wort des Lebens“ erscheint auch in der Monatszeitschrift NEUE STADT.
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