Frieden ist der Weg

Die vergangenen Jahre haben unsere Vorstellung davon, was Frieden heißt und wie Wege zum Frieden aussehen, heftig durcheinandergebracht. Und jetzt?

Vor 80 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Das Erschrecken über die Grausamkeit des Krieges selbst und die Fassungslosigkeit über den Zivilisationsbruch der Shoa waren groß; so groß, dass die Staatengemeinschaft alle möglichen Maßnahmen ergriff, um einen weiteren Weltkrieg zu verhindern. Tastsächlich erlebten wir in Europa über Jahrzehnte hinweg eine so nicht gekannte Zeit des Friedens.

Und doch gab es in jedem einzelnen Jahr nach 1945 Kriege. Insgesamt waren es mehrere hundert. Doch sie waren weit weg. Dann kam der 24. Februar 2022, der Tag, an dem der Angriff Russlands auf die Ukraine begann. Die Vorstellung von Frieden hat seither ihre Eindeutigkeit verloren: Es ist nicht automatisch Frieden, wenn die Waffen schweigen. Steht Frieden doch für die Herrschaft des Rechts, der Menschenrechte, der Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz. Was heißt „Nie wieder Krieg!“ aus der Sicht eines angegriffenen Landes? Was bedeutet es für die benachbarten und befreundeten Staaten, wenn ein Land überfallen wird? Was ist ein „gerechter Frieden“? Führt der Wunsch nach Frieden um jeden Preis dazu, dass der Angreifer in seinem Handeln bestärkt wird? 

Es ist jedenfalls erschreckend zu sehen, welches Maß an Zerstörung und Hass der Machtwille und die Eitelkeit einiger weniger Männer – es sind ja fast nur Männer – hervorbringen kann.

Nun beschließen Staaten Rüstungsausgaben in lange nicht mehr vorstellbarer Höhe und stoßen damit auf breite Zustimmung. Haben Pazifismus und passiver Widerstand ausgedient? Wie können das Leben und die Arbeit für den Frieden heute aussehen?

Die Fokolar-Bewegung ist im Zweiten Weltkrieg entstanden. Sie begann mit der einschneidenden Erkenntnis in der entstehenden Gemeinschaft um Chiara Lubich, dass der Krieg alles zerstören kann, nicht aber Gott. Daraus folgte der uneingeschränkte Glaube an die Liebe dieses Gottes und als Konsequenz daraus die tatkräftige Hilfe für die Armen, die – wie immer im Krieg – am meisten litten.

Aus Anlass des 80-jährigen Bestehens der Fokolar-Bewegung hat Papst Franziskus im Dezember 2023 an diese Berufung erinnert: Mehr denn je brauche die von Konflikten zerrissene Welt „Handwerker der Geschwisterlichkeit und des Friedens unter den Menschen und Nationen“, sagte er. Chiara Lubich habe das klar erkannt und das Hauptziel der Fokolar-Bewegung 1998 so beschrieben: „Liebe sein und sie verbreiten.“ Franziskus: „Wir wissen, dass nur aus der Liebe die Frucht des Friedens hervorgeht. Deshalb bitte ich euch, Zeugen und Baumeister des Friedens zu sein, den Christus mit seinem Kreuz erreicht hat, indem er die Feindschaft besiegte.“

Die Feindschaft besiegen. Dieser Weg steht uns auch in Zeiten größter Unsicherheit offen. Wie steht es um den Frieden in mir? Kann ich im Vertrauen auf die Zusagen Gottes trotz allem gelassen bleiben? Oder zumindest immer wieder werden? Wie steht es um den Frieden in meinen persönlichen Beziehungen? Bin ich bereit zuzuhören, zu verzeihen? Kann ich in einer Welt, in der es häufig heißt: „Amerika zuerst“, „Deutschland zuerst“ oder auch „Ich zuerst“ sagen: „Der andere zuerst“? Kann ich glauben, dass das Private immer auch politisch ist; das Leben des Friedens im Kleinen also nicht ohne Auswirkung auf das Große, auf die Gesellschaft, ja auf die ganze Welt bleibt? Von Mahatma Gandhi stammt der Satz: „Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.“ Er gilt auch heute. Vielleicht gerade heute.

Dies ist ein gekürzter Beitrag von Peter Forst aus der Zeitschrift NEUE STADT, die sich in ihrer Mai/Juni-Ausgabe mit dem Thema „Frieden“ beschäftigt. Möchten Sie auch die weiteren Beiträge lesen? Dann können Sie HIER ein Probe-Heft anfordern oder das Magazin NEUE STADT abonnieren.