„Alles gehört euch; ihr aber gehört Christus und Christus gehört Gott.“ (1 Korinther 3,22f)
Die ersten Christen von Korinth waren eine sehr lebendige und aktive Gemeinde, geprägt von unterschiedlichen charismatischen Strömungen und geistlichen Führungspersönlichkeiten. Daher gab es zwischen Einzelnen und Gruppierungen auch immer wieder Spannungen und Auseinandersetzungen um die Vorrangstellung. Paulus geht sehr entschieden dazwischen und erinnert daran, dass es bei aller noch so schönen Vielfalt an Gaben und herausragenden Persönlichkeiten etwas gibt, das die Gemeinde zutiefst verbindet: die Zugehörigkeit zu Gott.
In den Worten von Paulus klingt die Kernverkündigung des Christentums an: Gott ist mit uns. Wir sind nicht allein, verwaist, uns selbst überlassen, sondern seine Söhne und Töchter; wir gehören ihm. Wie ein Vater kümmert er sich um jede und jeden von uns und sorgt sich um das, was wir brauchen. Seine Liebe ist so überreich, dass er uns – wie es Paulus formuliert – alles schenkt: „Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft“1, ja sogar seinen Sohn.
Wie groß muss das Vertrauen Gottes in uns sein, wenn er uns alles in die Hände legt! Und wie oft haben wir dieses Vertrauen missbraucht, haben uns als die Herren der Schöpfung aufgespielt und sie ausgebeutet und zerstört; haben uns über andere erhoben, sie unterdrückt und umgebracht; haben uns als Herren unseres eigenen Lebens betrachtet und es selbstverliebt ruiniert.
„Alles gehört euch.“ – Dieses unendlich große Geschenk Gottes verlangt Dankbarkeit. Wir dagegen neigen zum Jammern über all das, was wir nicht haben, und wenden uns an Gott nur, wenn wir etwas von ihm wollen. Schauen wir uns doch einmal um und lassen wir uns überraschen von all dem Schönen und Guten, was wir da entdecken können. Das wäre Tag für Tag Grund genug, Gott zu danken.
„Alles gehört euch“. – Diese Zusage bedeutet Verantwortung. Sie verlangt von uns einen feinfühligen und sorgfältigen Umgang mit dem, was uns da anvertraut wurde: die ganze Welt und jedes menschliche Wesen. Wir sollten damit so umgehen, wie es Jesus mit uns tut („ihr gehört Christus“) und wie es der Vater mit Jesus tut („Christus gehört Gott“): Freuen wir uns mit denen, die froh sind. Weinen wir mit denen, die traurig sind. Stellen wir uns jeder Klage, jeder Trennung, jedem Schmerz, jeder Form von Gewalt, als ob sie uns selbst beträfen; teilen wir sie mit den Menschen und wandeln wir sie nach Möglichkeit in Liebe um. Denn alles gehört uns, damit wir es zu Christus bringen, das heißt zur Fülle des Lebens, zur ursprünglichen Bestimmung in Gott, wo alles seine Würde und seinen Sinn bekommt.
Im Sommer 1949 erfuhr sich Chiara Lubich eines Tages mit Christus so tief verbunden wie eine Braut mit ihrem Bräutigam. Sie fragte sich, was wohl die Mitgift sein könnte, die sie in diese Beziehung einzubringen hätte. Wenn Christus ihr den ganzen Himmel schenkte, so ihre Überlegung, dann musste sie ihm die Schöpfung zurückschenken. Ihr kamen die Worte aus Psalm 2 in den Sinn: „Fordere von mir und ich gebe dir die Völker zum Erbe, die Enden der Erde zum Eigentum.“2 „Wir haben daran geglaubt“, schrieb sie in ihren Aufzeichnungen, „und haben gefordert. Und er hat uns alles gegeben, damit wir es ihm zurückbringen und er uns dafür den Himmel gibt: wir das Geschaffene, er das Ungeschaffene.“
Gegen Ende ihres Lebens schrieb Chiara Lubich über die Fokolar-Bewegung, zu der sie den Anstoß gegeben hatte und mit der sie sich identifizierte: „Ich selbst habe hier und heute einen großen Wunsch: dass wir am Ende der Zeiten, wenn wir darauf warten, vor ihn, den verlassenen und auferstandenen Herrn zu treten, mit jenem bewegenden Wort des belgischen Theologen Jacques Leclerq sagen können: ‚Mein Gott, ich komme zu dir ... mit meinem verrücktesten Traum: dir in meinen Armen die ganze Welt zu bringen.’“3
Fabio Ciardi
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1) 1 Korinther 3,22; 2) Psalm 2,8; 3) Chiara Lubich, Der Schrei der Gottverlassenheit, München 2001, S. 118
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