Palmira Frizzera war eine der allerersten unter den jungen Menschen, die sich Chiara Lubich, ihrem am Evangelium ausgerichteten Lebensstil und ihrer Vision der geeinten Welt anschlossen. Am 5. Januar 2022 verstarb sie in Montet (Schweiz), nachdem sie ihr langes Leben für die universelle Geschwisterlichkeit gelebt hatte.
Im Alter von 18 Jahren, 1945, lernte Palmira Chiara Lubich und ihre Gefährtinnen in Trient kennen. Sie war angezogen von der Entschiedenheit, ihr Leben ganz in Gottes Dienst zu stellen und hatte den Wunsch, als Ordensfrau nach Indien zu gehen. Doch eine Krankheit der Augen machte diesen Plan zunichte. Kurz nachdem sie im Alter von 21 Jahren in die Lebensgemeinschaft der ersten Fokolarinnen eingetreten war, bekam sie die Diagnose ihres Arztes: „Für ihre Augen gibt es keine Heilung. Sie werden erblinden.“ Die junge Palmira war geschockt und verzweifelt. Sie erzählt rückblickend: „Ich ging mit Natalia (eine der ersten Gefährtinnen Chiara Lubichs A.d.R.) vom Arzt nach Hause und war in Tränen aufgelöst. Mitten auf der Straße hielt ich inne und merkte: Warum weine ich so, weil ich mein Augenlicht verliere, wenn ich doch gar keine Augen brauche, sondern nur mein Herz, um Jesus in den Schwestern und Brüdern zu sehen? Ich schloss einen Pakt mit Jesus, Natalia war meine Zeugin: Wenn ich Gott mehr Ehre erweisen könnte mit zwei Augen, dann sollte er dafür sorgen, dass ich mein Augenlicht behalte. Wenn ich ihm aber als Blinde mehr Ehre geben könnte, dann solle er mir mein Augenlicht nehmen. Sagt Jesus nicht im Evangelium: Es ist besser, ohne Augen in den Himmel zu kommen als mit zwei Augen in die Hölle? Seit diesem Moment machte mir das alles keine Sorgen mehr.“ Der Besuch eines anderen Arztes brachte eine neue Diagnose und letztendlich verlor Palmira ihr rechtes Auge. Mit dem linken aber konnte sie bis zum Schluss sehen. Sie erzählt weiter: „Oft haben wir Angst, Jesus etwas zur Verfügung zu stellen: unsere Wünsche, unsere Sehnsüchte, unser Studium… dabei lohnt es sich, ihm alles zu geben, denn er übertrifft uns immer mit seiner Großzügigkeit. Gott ist Liebe und er wird immer mit dem Hundertfachen antworten.“
Diese Großzügigkeit, im Vertrauen auf Gottes liebevolle Fürsorge, kennzeichnete Palmiras Leben. So auch, als Chiara Lubich sie 1981 bat, zusammen mit anderen in einem kleinen Ort der Westschweiz (Montet) eine Gemeinschaft im Sinne der Spiritualität der Fokolar-Bewegung zu gründen . Sie blieb 40 Jahre in Montet, bis zu ihrem Tod, und begleitete in dieser Zeit viele Männer und Frauen, Jugendliche und Familien aus der ganzen Welt, die nach Montet kamen, um die Spiritualität der Fokolar-Bewegung zu vertiefen.
Maria Lorenz lebte einige Jahre mit Palmira zusammen in Montet und erinnert sich: „Man traf sich im Treppenhaus, beim Spaziergang oder in der Kirche, zufällig oder verabredet. Ihr Zuhören und ihre Anteilnahme waren etwas Besonderes. Sie kannte die Menschen in Montet mit Namen, erinnerte sich nach Jahren noch an ihre Lebenssituationen und persönlichen Geschichten. Beeindruckend war ihre Weltoffenheit, ihr starker Glaube und ihre konkrete Liebe – unter anderem in Form von Schweizer Schokolade.“
Dane Makaji, ein junger Mann aus Serbien, erzählt von der Begeisterung und Leidenschaft, mit der er die 91-jährige Palmira mit ihrer immer noch jugendlichen Ausstrahlung erlebte. „Sie sprach oft davon, dass es wichtig ist, durchzuhalten. Und teilte dann ihre Erfahrungen von so vielen Schwierigkeiten in ihrem Leben und wie sie durchgehalten hat, stark geblieben ist, und die Freude auch immer wieder gefunden hat. Das hat mich sehr beeindruckt und begleitet mich bis heute.“
Mit ihrer Stärke, ihrer Klarheit und auch durch ihr dominantes Naturell hat sie dazu beigetragen, die Fokolar-Bewegung auch durch schwierige Zeiten zu begleiten. Selbst in der Gebrechlichkeit des Alters hatte sie eine starke persönliche Ausstrahlung: „Ihr Leben mit Gott, in der Schwäche und der Hinfälligkeit des Alterns, im Abstand gewinnen von dem, was sie mit Energie aufgebaut hatte, im Loslassen und Übertragen der Aufgaben an ihre verschiedenen Nachfolger, kurz das Vertrauen, das sie in uns setzte – all das erstaunte und berührte mich stark“, erzählt Maria Lorenz.
Als Dane nach einigen Jahren nochmal nach Montet zurückkam, wollte er Palmira Blumen bringen. Er traf eine Frau, die schon im Sterben lag. „Aber sie strahlte so einen Frieden und eine Freude aus“, erzählt Dane. „Ich arbeite auf einer Intensivstation im Krankenhaus, aber noch nie habe ich jemanden gesehen, der so voller Frieden auf den Tod zu ging. Palmira freute sich auf ihre große Familie, die sie im Himmel erwarten würde.“
Mit Palmira Frizzera verlässt eine der letzten noch Lebenden der Gruppe von Frauen und Männern, die mit Chiara Lubich begonnen haben. Das markiert für die gesamte Gemeinschaft einen weiteren Schritt des Übergangs aus der Gründungszeit heraus.