Was passiert, wenn Christen und Muslime aufeinander zugehen? Anfang März haben das rund 100 Menschen gewagt. Einer von ihnen ist Hasan Taner Hatipoğlu. Er ist gläubiger Muslim und Schweizerbürger türkischer Herkunft. Ein Gespräch.
Das Miteinander der großen Religionen ist wahrlich kein Zuckerschlecken.
Wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass alle Menschen die gleiche Rasse, Hautfarbe oder Religion haben, so hätte Er es verfügt, und so wäre es geschehen.
So ist es aber nicht.
Wir Menschen haben unterschiedliche Rassen, Hautfarben, Religionen und sind Bürger von verschiedenen Ländern. Gott hat uns Menschen den Verstand geschenkt und uns angewiesen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, Gott zu erkennen, Ihm zu dienen, Gott und seine Geschöpfe zu lieben.
Wo steht das im Koran?
In Kapitel 49, Vers 13 steht: «0 ihr Menschen, Wir haben euch von einem Mann und einer Frau erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennen lernt. Der Angesehenste von euch bei Gott, das ist der Gottesfürchtigste von euch. Wahrlich, Gott ist allwissend, und (über alles) wohl unterrichtet.»
Das heißt?
Mit diesem Vers aus dem Koran legt Er die Basis für den interreligiösen Dialog. Er fordert, dass wir uns kennen lernen. Wir sollen auf eine gute Art und Weise miteinander kommunizieren.
Sie haben gut reden.
Als ich noch in die Grundschule ging, zog meine Familie vom Westen der Türkei in die Stadt Diyarbakir um. Diese liegt im Süd-Osten. Mein Vater war Berufsoffizier. Berufsoffiziere mussten in der Türkei stets nach vier Jahren umziehen, womit sie die Möglichkeit bekamen das ganze Land kennen zu lernen. In der Gegend, in welcher wir unsere Wohnung in Diyarbakir gemietet hatten, lebten auch aramäische Christen. In unserer Straße gab es eine alte aramäische Kirche (syrisch-orthodox). Meine ersten Kontakte als Muslim zu einer religiösen Minderheit hatte ich dort. In der gleichen Straße lebte auch der Pfarrer dieser Kirche mit seiner Familie. Wie es sich für eine gute Nachbarschaft und zu guten menschlichen Beziehungen gehört, hatten wir, solange wir in dieser Gegend wohnten, die Pfarrersfamilie öfters zu uns eingeladen und auch wir waren des Öfteren zu Gast bei diesem Pfarrer.
Wie war das?
Vor dem allerersten Besuch haben meine Eltern darüber diskutiert, dass sie achtsam sein müssten, um die Gefühle unserer Gäste, die noch dazu zu einer religiösen Minderheit gehörten, nicht zu verletzen. Da meine Eltern (und ich) kaum etwas über das Christentum wussten, herrschte große Nervosität bei uns zu Hause.
Warum?
Man ging davon aus, dass es zwangsläufig zum Gespräch über die Religion kommen würde, da unser Gast ja doch ein Pfarrer war. Ich war sehr froh und erleichtert, als ich von meinen Eltern hörte, dass ich mit den Kindern unserer Gäste einfach ganz normal spielen durfte. Als Kinder war ja die Religion für uns nicht sonderlich relevant. Beim Spielen mit den Kindern war ich anfangs noch mit einem Ohr bei meinen Eltern und dem Gespräch mit unseren Gästen. Als die Begriffe „Gemeinsamkeiten und „gleich“ häufig ausgesprochen wurden, war ich beruhigt und konnte mich voll dem Spiel mit den Kindern unserer Gäste widmen.
Nach dem Abitur in der Türkei haben Sie vom türkischen Staat ein Stipendium für das Studium im Ausland erhalten.
Mit 17 Jahren bin ich damals alleine eingereist. Ich konnte nur Türkisch und wenig Englisch. Ich war in der Türkei geboren und aufgewachsen und hatte in meinem Erfahrungsschatz die türkische Kultur, geprägt vom Islam mitgebracht. Mit dem Erlernen der Sprache und dem Beginn des Studiums an der Eidgenössischen Technische Hochschule (ETH) konnte ich den Dialog und die Integration als Ausländer beginnen. Ich habe ein tiefes Bedürfnis gespürt, als Muslim mit den Christen (und später mit den Juden) hier in Dialog zu treten.
Wie genau?
Ich wollte meinen christlichen (und jüdischen, wenn ich solche treffe) Mitmenschen kommunizieren, dass ich als Muslim ihren Glauben respektiere und sie als „Rechtschaffende“ sehe. Ich verstand sogar aus den Versen im Koran, welche mit „Sprich“ beginnen und an den Propheten Muhammad gerichtet sind, die Verpflichtung, zu den christlichen und jüdischen Gläubigen zu sprechen und sie auf ein gleiches Wort zwischen uns und ihnen aufmerksam zu machen.
Auf das Verbindende?
Ich wollte meinen Mitmenschen sagen, dass wir der gleichen „abrahamitischen“ Familie angehören und viele Gemeinsamkeiten haben. Die Religion des Islam lehrt uns, das "Buch Universum" lesen zu lernen. Die Erde mit allen Geschöpfen, die Planeten und Sterne, alle sind Kunstwerke Gottes und haben uns etwas zu sagen. Wir müssen sie nur verstehen, ihre Mitteilungen richtig deuten. Diese Gedanken wollte ich mit den anderen teilen.
Mit Erfolg? Die Studentenschaft in der Fakultät wie auch im Studentenheim wollte über Gott und Religionen überhaupt nicht sprechen. Sie hatten überhaupt kein Interesse am Glauben, waren nicht religiös.
Sie haben trotzdem weitergemacht.
Wir sollten nicht nur auf unsere Beziehung mit den anderen Menschen achten, sondern mit allen Gottes Geschöpfen, mit Tieren, Pflanzen ja mit der Umwelt. Gott liebt Seine Geschöpfe. Gott liebt uns. Und wenn wir Gott lieben, impliziert das, dass wir andere Menschen, alle seine Geschöpfe auch lieben sollen.
Was hilft dabei?
Gemeinsam die Gegenwart Gottes zu fühlen und zu erleben. Anschließend können wir anderen Menschen helfen, auch daran teilzunehmen und sich von Gott führen lassen. Die Einheit aus christlichen und muslimischen Gläubigen wird erfolgreicher sein, mit Gottes Gnade. Es geht darum, Lippenbekenntnisse in die Tat umzusetzen.
Was zeichnet einen „wahrhaft Gläubigen“ aus?
Mit dem Vers „Und vor dem sandte Gott herab die Thora und das Evangelium“ werden den Muslimen die heiligen Bücher der Juden und Christen, die Thora und das Evangelium, als Offenbarungen Gottes definiert. Ein Mensch wird nach islamischer Definition kein wahrhaft Gläubiger, wenn er an den göttlichen Ursprung der Offenbarungen Gottes – inklusive Thora und Evangelium - nicht glaubt.
Was sagt der Koran noch dazu?
Die Aufforderung im Koran zum Gespräch kann unsere Gedanken auf das Gute, auf die förderlichen zwischenmenschlichen Werte lenken: „Kommt herbei zu einem gleichen Wort zwischen uns und euch, dass wir nämlich Gott allein dienen und nichts neben Ihn stellen und dass nicht die einen von uns die anderen zu Herren nehmen außer Gott“.
Ist es in unserer modernen Gesellschaft noch zumutbar, dass wir andere Dinge zu Göttern erheben, wie unsere Geliebten (sei er Mann oder Frau), unsere Tochter, unseren Sohn, unseren Chef in der Firma, das Geld?
Mit der Finanzkrise, die im Frühsommer 2007 begonnen hat spürbar zu werden, waren die Begriffe „Gier", „Ethik“ und „Solidarität“ wieder salonfähig und diskussionswürdig.
Muss es eine Krise geben, damit wir uns an diese Werte erinnern, welche in unseren Religionen eigentlich schon definiert, selbstverständlich und für das Gemeinwohl der Gesellschaft gefordert sind?
Ich denke, der Dialog zwischen Christen und Muslimen ist eine Notwendigkeit für das friedliche Zusammenleben. Wenn Jede und Jeder von uns sich in diese Richtung bemühen würde, könnten wir vorwärtskommen. Deswegen nehme ich gerne die Aufforderung Gottes an, und werde weiterhin versuchen, meinen sehr, sehr kleinen Beitrag dazu zu leisten.
Dr. Hasan Taner Hatipoğlu (63)
studierte ab 1973 an der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich die Fächer Chemieingenieurwesen und System-Engineering und war später lange im Informatikbereich einer Großbank tätig. Hatipoğlu ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er ist Ehrenpräsident der Vereinigung der islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ), der wichtigsten Dachorganisation muslimischer Vereine in der Schweiz.