Papst Franziskus: Christus im Zentrum

Eine tiefe Geschwisterlichkeit, die in Christus verwurzelt und für alle offen ist: das ist die Botschaft von Papst Franziskus. Das sagt Jesús Morán, Co-Präsident der Fokolar-Bewegung, in einem Nachruf.

In seiner letzten Predigt, die am Ostersonntag vorgelesen wurde, zitierte Franziskus Henri de Lubac: „Das Christentum ist Christus. Es gibt nichts anderes als dies.“ Wer den Papst verstehen wolle, müsse diesen Fokus auf Christus begreifen, so Morán. Denn diese Christuszentriertheit durchziehe alle Aspekte seines Pontifikats – seine Enzykliken, seine Reformen, die Hinwendung zu den Ausgegrenzten und seine oft unkonventionellen Entscheidungen. Franziskus habe bewusst Spannungen in Kauf genommen, ohne Angst vor Missverständnissen oder Fehlern – getragen von einer tiefen Mystik. Aus dieser Haltung speisten sich die Leitlinien seines Lehramts: Barmherzigkeit und Hoffnung.

Moràn geht ausserdem auf die zahlreichen Begegnungen des Papstes mit der Fokolar-Bewegung ein. Franziskus habe ihre Spiritualität und ihren Beitrag zur Kirche, etwa im synodalen Prozess, erkannt und geschätzt. Zugleich habe er mit Klarheit die Herausforderungen und Schritte benannt, die die Bewegung gehen müsse, wenn sie ihrem ursprünglichen Charisma treu bleiben wolle – als Weg durch eine unvermeidliche Krise nach der Gründung hin zu neuer Gnade.

Moráns Fazit: Papst Franziskus verkörpert eine offene, christlich gegründete Geschwisterlichkeit – als Vision einer gemeinsamen Zukunft. Dieses Vermächtnis gelte es mit Demut und Verantwortung zu bewahren.

 

Nachruf von Jesús Morán, Co-Präsident der Fokolar-Bewegung

Mit tiefer Ergriffenheit schreibe ich diese Zeilen über Papst Franziskus einen Tag nach seiner "Heimreise" zum Vater. Die vielen Momente, in denen ich ihm die Hand schütteln konnte und die Wärme seines Lächelns, die Zärtlichkeit seines Blicks, die Kraft seiner Worte, sein weites väterliches Herz gespürt habe, kommen mir wieder in den Sinn – und auch seine aufschlussreichen Ermahnungen. Es fällt mir schwer zu glauben, dass diese Begegnungen kein "morgen" oder "wieder" mehr haben werden.

Ich habe nicht die Absicht, eine Zusammenfassung des Pontifikats von Franziskus zu geben. Zu diesem Zweck genügt es, die zahlreichen Artikel zu lesen, die in den letzten Tagen veröffentlicht wurden, insbesondere die Sonderausgabe des Osservatore Romano - nur wenige Stunden nach seinem Tod - und die mehr oder weniger erschöpfenden Bewertungen, die sicherlich in Kürze erscheinen werden. Was mich innerlich bewegt, ist, den roten Faden zu entdecken, der seine Mission in der Leitung der Kirche durchzieht; zu versuchen, mich auf das Innerste seines Herzens und seiner Seele einzustimmen. Und in diesem Licht die Beziehung, die er in diesen zwölf Jahren mit dem Werk Mariens hatte, zu beleuchten.

Um dies zu tun, habe ich mich intensiv mit seinen letzten Reden beschäftigt, denn ich glaube, dass Papst Franziskus hier sein Innerstes gegeben hat und dass hier der Schlüssel zu seinem Denken und Handeln liegt.

In dem Text, den er für die Ostermesse vorbereitet hat, findet sich ein Zitat des großen Theologen Henri de Lubac - ein Franzose und selbst Jesuit -, das definitiv nicht reine Rhetorik ist: "Es muss uns genügen, dies zu verstehen: Das Christentum ist Christus. Nein, wirklich, es gibt nichts anderes als dies".

Wenn wir Franziskus verstehen wollen, müssen wir uns meiner Meinung nach auf dieses Absolute beziehen: Christus und nur Christus, ganz Christus. Daraus können wir den tiefen Inhalt seiner Enzykliken und apostolischen Schreiben, die Wahl seiner Reiseziele, seine Präferenzen, die Bedeutung seiner Reformen, seine Gesten, seine Worte, seine Predigten, seine Begegnungen und vor allem seine Liebe zu den Ausgegrenzten, den Ausgestoßenen, den Frauen, den Alten, den Kindern und der Schöpfung ablesen. "Nein, wirklich, es gibt nichts anderes." Deshalb kann man - in einem Pleonasmus - sagen, dass der Katholizismus von Papst Franziskus einfach ein "christlicher Katholizismus" ist. Der Impuls, den er der Kirche geben wollte, beruht in dieser Ausrichtung: Christus soll durchscheinen. Dadurch ging er bei vielen Gelegenheiten weit über das politisch Korrekte oder, besser gesagt, das kirchlich Korrekte hinaus, ohne Angst, missverstanden zu werden, und ohne Angst, falsch zu liegen, durchaus im Bewusstsein der Widersprüchlichkeit, die daraus entstand. In einem Interview mit einer spanischen Zeitung sagte er sogar, er wünsche sich, dass sein Nachfolger nicht seine Fehler mache. Aufgrund dieser Christuszentriertheit können wir erkennen, dass wir tatsächlich - vielleicht ohne es zu merken - mit einem zutiefst mystischen Papst gelebt haben. Denn so hat Papst Franziskus die Kirche gedacht und gelebt: nicht als religiöse Organisation, nicht als Spenderin von Sakramenten und schon gar nicht als wirtschaftliches, soziales oder politisches Machtzentrum, sondern als Volk Gottes, als Leib Christi, der den Menschen in seinem Menschsein Gastfreundschaft gewährt. Die Kirche ist also offen für die Menschen, für den Dienst, denn Jesus ist "das Herz der Welt". 

Franziskus auf einen Sozialreformer oder einen Papst, der Brüche provoziert hat, zu reduzieren, zeugt von Kurzsichtigkeit. Ich habe oft sein Gesicht beobachtet, wenn er Kommentare in seine Botschaften eingestreut hat, zum Beispiel beim sonntäglichen Angelus. Dort zeigte er sich in der Schlichtheit eines Hirten, der seine Herde leidenschaftlich liebt, seine Harmonie mit dem Göttlichen, seine Weisheit, sein kristallklarer und unmittelbarer Glaube, seine tiefe Demut. 

Aus der zentralen Stellung Christi leiten sich meiner Meinung nach die beiden Grundpfeiler seines Lehramtes ab: Barmherzigkeit und Hoffnung. Die Barmherzigkeit ist der Ausdruck dafür, dass wir uns als Gläubige in der Geschichte mit all ihren Dramen verwurzelt wissen –sowohl persönlich als auch als Gemeinschaft; die Hoffnung ist Ausdruck der endzeitlichen und heilsgeschichtlichen Spannung. Aus Sicht des Papstes gibt es Barmherzigkeit, weil es Hoffnung gibt; und es ist die Hoffnung, die uns ein barmherziges Herz gibt. In der Tat erklärt Franziskus in seiner Predigt zur diesjährigen Osternacht, dass "der auferstandene Christus der endgültige Wendepunkt der menschlichen Geschichte ist". Die wichtigen sozialen und ökologischen Botschaften von Papst Franziskus werden missverstanden, wenn diese endzeitliche Spannung, die sich auf den Auferstandenen konzentriert, nicht berücksichtigt wird.

Franziskus' Beziehung zur Fokolar-Bewegung war in den zwölf Jahren seines Pontifikats sehr eng. In neun Ansprachen wandte er sich an sie: an die Teilnehmer der Generalversammlungen 2014 und 2021; an alle Mitglieder anlässlich des 80. Jahrestages der Entstehung der Bewegung; an die Studierenden und Dozenten des Universitätsinstituts Sophia; an die Familienfokolare; an die Teilnehmer einer Begegnung von Bischöfen verschiedener Kirchen; an die Teilnehmer des Treffens der "Wirtschaft in Gemeinschaft"; an die Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung von Loppiano; an die Teilnehmenden der Veranstaltung „Roma – Villaggio della Terra“. Bei einer Gelegenheit gewährte er Maria Voce, der ersten Präsidentin des Werkes Mariens nach Chiara, und mir eine Privataudienz. 

Was in diesen Begegnungen deutlich wurde, war eine große Liebe und eine pastorale Fürsorge von Papst Franziskus für die Fokolar-Bewegung. Im Austausch zwischen hierarchischen und charismatischen Gaben zeigt sich, dass der Papst einerseits in der Lage war, das Geschenk zu erfassen, zu schätzen und hervorzuheben, das das Charisma der Einheit mit seiner Betonung der Spiritualität der Gemeinschaft und seinem Engagement in Kirche und Gesellschaft für den synodalen Prozess der ganzen Kirche darstellt; Andererseits hat er mit großer Klarheit die Herausforderungen und Schritte benannt, die die Bewegung gehen muss, wenn sie ihrem ursprünglichen Charisma treu bleiben will, um durch die unvermeidliche Krise nach der Gründung hindurchzugehen und sie in eine Zeit der Gnade und neuer Möglichkeiten zu verwandeln.  Papst Franziskus hinterlässt der Welt eine allumfassende Botschaft der Geschwisterlichkeit, die in Christus verwurzelt und für alle offen ist. Geschwisterlichkeit ist die einzig mögliche Zukunft. Wir, die Menschen, die sich für die Einheit einsetzen, sollten uns dieses Erbe mit Demut, Entschiedenheit und Verantwortungsbewusstsein zu eigen machen.

Jesús Morán