Eine zentrale Voraussetzung für den Dialog

Ziemlich kompliziert und doch ganz einfach – der Dialog. Bei einem Kongress der Fokolar-Bewegung in der Nähe von Graz befasste sich der Kulturwissenschaftler Herbert Lauenroth von einem neuen Blickwinkel aus mit Dialog.

„Der Dialog ist ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen; eine geführte Rede und Gegenrede“: Wer das Internetlexikon Wikipedia zur Definition des Begriffs „Dialog“ befragt, stößt auf diesen Satz. Für den Kulturwissenschaftler Herbert Lauenroth, der am Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring der Fokolar-Bewegung bei Augsburg lebt und arbeitet, greift diese Definition jedoch zu kurz. Die Art von Dialog, zu dem Christen seiner Ansicht nach berufen sind, besteht darin, Räume des Zuhörens zu schaffen. 

Lauenroth zitiert den Philosophen Peter Sloterdijk, der die Postmoderne als „Epoche der leeren Engel“ bezeichnet und den Begriff selber so erklärt: „Alle wollen Engel sein, Überbringer von Nachrichten, die auf der Suche nach Beachtung, Publikum und Followern sind.“ Adressat, Empfangender oder Hörender wollten hingegen nur wenige sein. Lauenroth dazu: „Ich höre aus Sloterdijks kritischer Zeitdiagnose eine echte und bedrängende, existenzielle Not unserer Gegenwart heraus. Die leeren Engel sind immer auch die Träger einer buchstäblich mundtot gemachten, überhörten, verdrängten Wirklichkeit.“ Dabei habe jede und jeder das Menschenrecht, Gehör zu finden, so Lauenroth.

Ein neuer Blick auf das Thema Dialog - das Publikum ist sehr aufmerksam.

 

Warum dieses Gehört-Werden so unverzichtbar ist, macht der Kulturwissenschaftler an einem Zitat des verstorbenen Aachener Bischofs Klaus Hemmerle deutlich: „Lass mich an dir die Botschaft lernen, die ich dir zu überbringen habe.“ Und er erklärt mithilfe eines weiteren Zitats von Helmut Nicklas, dem ebenfalls verstorbenen langjährigen Leiter des CVJM München, was damit gemeint ist: „Erst wenn wir bereit sind, das je eigene Charisma in der Begegnung mit den anderen neu zu empfangen, erst dann wird unser Miteinander, ja jedes Netzwerk Zukunft haben und nachhaltig sein.“ Damit macht Lauenroth das Dialogische des Zuhörens deutlich: Erst wenn ich dir zuhöre, um zu verstehen, wer du bist, lerne ich mich selber richtig kennen. In Lauenroths Worten: „Das eigene Charisma vom anderen her, also in einem fremden Klang empfangen.“ Das geschehe, so Lauenroth, in der Unterscheidung, die er keineswegs als Widerspruch zur Einheit sieht, sondern eher als Wechselspiel. „Wir schaffen einen Raum der Freiheit, der Gleichheit und der Verschiedenheit“, fasst er zusammen.

Trotz Unterscheidung bleibt die Einheit

Der Ottmaringer spricht von einem „Geheimnis der Nähe: Ich komme einem anderen nahe, aber ich spüre ihn gleichzeitig unendlich fern.“ Und er berichtet von einem persönlichen Erlebnis im Gespräch mit Vertretern anderer christlicher Gemeinschaften: „Wir beten für dich, für deine Bewegung, dass ihr immer mehr zu dem werdet, wozu ihr berufen seid, was euch und nur euch gegeben ist. Denn nur so können auch wir ganz neu unsere Charismen entfalten.“ Abstrakt formuliert: Die Unterscheidung nimmt zu, aber das mindert nicht die Einheit. Lauenroth verweist auf eine Aussage der Gründerin der Fokolar-Bewegung Chiara Lubich: „Alle Gegensätze haben Platz in Christus.“ Dass deshalb gegensätzliche Positionen auch innerhalb der Fokolar-Bewegung nichts daran ändern, „dass wir in den Spannungen beieinander bleiben“, das sei für viele ein Zeichen der Hoffnung, diese Verbundenheit in der Liebe zu Christus trotz aller Unterschiede.

Unabhängig von einer Zugehörigkeit zur Fokolar-Bewegung ist Lauenroth überzeugt, dass alle Christen Experten sein müssten im Leben in einem Zwischenraum, indem sie sich nicht auf eine Seite schlagen. „Dort, in diesem Zwischenraum, bezeugen wir Christus. Dann geht es nicht mehr um unsere Geschichte, sondern um eine Vermittlung der verschiedenen Perspektiven, die zueinander gebracht werden. Unsere Berufung ist es, verschwindende Vermittler zu sein, ein Dienst daran, dass die anderen ihre Geschichte erkennen, ein Gefühl für ihre Wahrheit und Würde finden.“

Zur Person

Herbert Lauenroth, geb. 1956 in Göttingen, Kulturwissenschaftler, lebt und arbeitet im Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring, gehört dem internationalen Studienzentrum der Fokolar-Bewegung in Rom („Scuola Abbà“) an, langjähriges Mitglied im Leitungsteam des ökumenischen Netzwerkes „Miteinander für Europa“. Der Text bezieht sich auf einen Vortrag, den Herbert Lauenroth im Mai 2025 bei einem internationalen Kongress der Fokolar-Bewegung in Seggau bei Graz gehalten hat.

Tina Rudert

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