Wort des Lebens für Juni 2016

"Haltet Frieden untereinander!"


Diese Einladung Jesu scheint wie geschaffen für unsere Zeit, die von so vielen Konflikten geprägt ist: Weil wir wissen, dass er der Friede ist, und dass er uns seinen Frieden versprochen hat, hält sie in uns die Hoffnung wach.

Im Matthäusevangelium steht dieser Satz am Ende einer Reihe von Anweisungen Jesu an seine Jünger. Er erklärt ihnen, nach welchen Regeln seine Gemeinde leben sollte. Letztlich läuft alles darauf hinaus, Frieden zu schaffen und zu wahren, weil darin jedes andere Gut enthalten ist.

Es geht um einen Frieden, den wir im alltäglichen Leben erfahren dürfen: in der Familie, bei der Arbeit, mit Andersdenkenden. Es ist ein Friede, der keine Scheu hat vor anderen Meinungen, über die man offen reden muss, wenn man eine immer tiefere Einheit erreichen möchte. Es ist aber auch ein Friede, der von uns Wachsamkeit verlangt, damit die Beziehung zum anderen nicht beeinträchtigt wird; sie ist mehr wert als mein Standpunkt bei Meinungsverschiedenheiten.

„Wo immer die Einheit und die gegenseitige Liebe hingelangen“ – so sagte es Chiara Lubich – „kommt der Friede, der wahre Friede an. Denn wo es gegenseitige Liebe gibt, ist in gewisser Weise Jesus mitten unter uns gegenwärtig, und er ist ja der Friede schlechthin.“1

Chiara Lubichs Ideal der Einheit war während des Zweiten Weltkriegs aufgeleuchtet als ein Gegenentwurf zu dem weit verbreiteten Hass und der Zerrissenheit der Menschen. Von da an hat Chiara unermüdlich jedem neuen Konflikt die Logik des Evangeliums entgegengehalten. Als 1990 der Irak-Krieg ausbrach, brachte sie ihren Schmerz darüber zum Ausdruck, dass nun „wieder Worte zu hören (waren), die wir längst vergessen glaubten: ‚der Feind‘ oder ‚die Feinde‘, ‚Kampfhandlungen‘, ‚Frontberichte‘, ‚Kriegsgefangene‘, ‚Niederlagen‘ ... Wir stellten erschüttert fest, dass das Grundprinzip, das Herzstück des Christentums, das Gebot Jesu schlechthin, das Neue Gebot, verletzt wurde ... Statt einander zu lieben und bereit zu sein, das Leben füreinander zu geben, waren die Menschen in den Abgrund des Hasses gestürzt. Sie verachteten, folterten und töteten einander.“2 Was tun?, fragte sich Chiara. Und ihre Antwort war: „Wir sollten, wo es möglich ist, ... bestehende Beziehungen zwischen Christen und Angehörigen der monotheistischen Religionen, das heißt Muslimen und Juden – den damaligen Konfliktparteien – vertiefen“3  und neue Beziehungen zwischen ihnen aufbauen.

Diese Einladung gilt für jeden Konflikt: zwischen beteiligten Personen oder Völkern Beziehungen knüpfen und vertiefen, einander zuhören, einander helfen, einander lieben – wie es Chiara sagen würde, bis hin zu Bereitschaft, füreinander auch mit dem Leben einzustehen. Nur wenn wir unsere eigenen Überlegungen und Argumente beiseitelassen, können wir die anderen verstehen. Es wird mir nicht immer gelingen, so wie es auch dem anderen – bei allem guten Willen – nicht immer gelingen wird, mich ganz zu verstehen. Aber wir bleiben offen füreinander und bewahren trotz aller Unterschiedlichkeit und aller Meinungsverschiedenheit die Beziehung zueinander.

Das Wort des Lebens „Haltet Frieden untereinander!“ ist eine echte Aufforderung. Sie verlangt Einsatz und hat ihren Preis. Aber es handelt sich um eine der tiefsten Ausdrucksformen der gegenseitigen Liebe und Barmherzigkeit.

Fabio Ciardi

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1) Interview mit dem Bayerischen Fernsehen, 16. September 1988; 2) Telefonkonferenz am 28.2.1991; 3) Telefonkonferenz am 28.3.1991

 

© Alle Rechte an der deutschen Übersetzung beim Verlag NEUE STADT, München

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