Gemeinschaft unter Charismen öffnet neue Perspektiven für Kirche

Donnerstag, 4. Juli 2019

Renata Simon und Annette Gerlach, die eine katholische, die andere evangelische Fokolarin, vertieften in einem Co-Referat das Thema „Der Heilige Geist und die Kirche“. Der Heilige Geist könne vielleicht gerade angesichts einer gewissen Sprachlosigkeit zwischen den Kirchen neue Impulse wirken: „Pfingsten beschreibt ein ‚Sprach- und Hörwunder‘ – können wir das nicht auch ökumenisch deuten? Wir haben unterschiedliche Sprachen entwickeln – jetzt braucht es die Übersetzungsarbeit des Hl. Geistes.“ 

Gerade in einer Zeit, in der die Kirchen massiv an Glaubwürdigkeit verloren hätte und die Menschen auf der Suche seien nach Orientierung, nach einem Sinn im Leben, könnten die historischen und die neuen Charismen Wasserspender des Lebens sein.  „Die Charismen der Kirche sind eine Art ‚Frischzellenkur‘ für die Kirche, die ihr neue Frische und Jugend verleiht.“

Metropolit Serafim Joantă, rum. orthodoxe Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa öffnete dann die ökumenische Dimension auf die orthodoxe Spiritualität hin. In seinen Ausführungen wurde deutlich, dass die Orthodoxie sehr viel mehr herz- als kopfgeprägt ist: „Theologische Konzepte über Gott sind wichtig, aber wir dürfen ihn nicht in solche Denkmodelle einsperren. Die gesamte mystische Theologie ist voll Feuer und Geist – in der orthodoxen Kirche beginnt jedes Gebet in der Liturgie und auch die persönlichen Gebete der Gläubigen mit dem Herabrufen des Heiligen Geistes.“

Die Verbindung von Kopf und Herz sei wesentlich und da seien das Gebet und das Fasten wichtige Elemente: „Die orthodoxe Spiritualität konzentriert sich auf das Herz, der Verstand ist eine Energie des Herzens, er muss durch das Gebet ins Herz hinabsteigen.
Das Fasten ist eine uralte Praxis, die das Gebet unterstützt. Die Einheit aus Leib, Seele und Geist setzt die Mitwirkung des Leibes in allen Akten des Geistes voraus. Die Kirchenväter sagen, dass niemand mit vollem Magen beten kann.“

Ein weiteres wichtiges Gesicht der ökumenischen Ausweitung war Georges Lemopoulos, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) aus Genf. Er gab Einblick in die Arbeit des internationalen Gremiums, dem über 350 verschiedene kirchliche und konfessionell verschiedene Gemeinschaften angehören und zeigte dann am Beispiel von einigen Abbildungen von Pfingst-Ikonen Wesenszüge der ökumenischen Arbeit auf: das Verwurzeltsein in der Kirche, die Gegenwart von Christus, der seinen Platz in der Mitte hat, das gemeinsame Herabrufen des Hl. Geistes und die Freude an der Vielfalt, die Offenheit für die Gaben aller und für die gesamte Welt.

Nachmittags bewegte sich dann die gesamte Gruppe nach Augsburg und gestaltete dort den „Tag des gottgeweihten Lebens“ im Rahmen der Ulrichswoche mit. Es kamen etwa 60 Ordenschristen aus Augsburg und Umgebung dazu und Kardinal João Braz de Aviz ermutigte alle, sich ebenfalls auf die Erfahrung der Gemeinschaft unter den Charismen einzulassen. „Die Erfahrungen, die wir in diesem Miteinander machen, bestätigen, was auch die Zeichen der Zeit nahelegen: Wir können die großen Herausforderungen unserer Zeit nur gemeinsam angehen!“ Dann zeigte er auf, wie Ordenschristen und Ortskirche fruchtbar zusammenarbeiten könnten. „Sie können miteinander Zeugnis davon geben, dass es in der Kirche zwei Dimensionen gibt, die auf gleicher Ebene stehen, gleich wichtig sind: die hierarchische und die charismatische Ebene. Er forderte auf, in einen konstruktiven Dialog zu treten und immer wieder Wege zu finden, die Bedürfnisse der Ortskirche mit den Möglichkeiten und Bedürfnissen der charismatisch inspirierten Ordensgemeinschaften in Einklang zu bringen. Orden könnten auf lokaler Ebene Schulen für Spiritualität werden und neue Impulse in die Gesellschaft einbringen, wenn sie sich für einzelne Projekte mit anderen Gemeinschaften oder Initiativen zusammentäten.
Den Abschluss fand der Tag dann bei der feierlichen Vesper in der Ulrichskirche.

Am Donnerstag, 4. Juli beschrieben dann zwei Ordensmänner in einem Co-Referat vier Bilder von Kirche: Redemptorist Pater Hans Schalk beschrieb das Bild vom wanderden Gottesvolkes, vom Leib Christi mit vielen Gliedern, das Bild von Braut und Bräutigam.
„Kirche ist da, wo sich Menschen im Geist Christi zusammentun. Es geht immer um Jesus und…“ fasste er am Ende zusammen. 

Pater Sascha P. Geißler konzentrierte sich dann auf das Verständnis von Kirche als Mutter und beschrieb darin ihre wesentlichen Charakteristiken: Kirche schenkt Leben weiter, das sie bekommen hat, sie fördert Gemeinschaft (communio), sie dient dem Leben in Diakonie und Caritas und sie mahnt für das Leben im Sinne der Prophetie. „Kirche ist nicht auf Ewigkeit angelegt, sie hat ein Verfallsdatum. Sie bahnt den Weg für das Reich Gottes, das schon hier beginnt aber noch nicht vollendet ist“, schloss er.

In seinem letzten Beitrag im Rahmen der „Ottmaringer Tage“ skizziert Kardinal Braz de Aviz vier Punkte, die er aus den Anstößen von Papst Franziskus für das Leben der Ordenschristen und der Gottgeweihten aus geistlichen Gemeinschaften empfiehlt:
Es ginge darum, Prozesse zu eröffnen und nicht Räume zu behaupten. Er empfehle außerdem, der Wirklichkeit mehr Gewicht zu geben als Ideen und Vorstellungen. Es sei empfehlenswert, von dem auszugehen, was ist, von den Kräften, die jetzt zur Verfügung stünden. Drittens gelte es, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass das Ganze die Einzelteile übersteige und schließlich sei es wichtig, in der Einheit die Vielfalt zu bewahren. 

Frank Lille, von Seiten der EKD verantwortlich für die geistlichen Gemeinschaften, beschreibt am Ende seine positive Erfahrung, auch wenn sie ihn mit mehr Fragen zurückfahren lasse, als er beim Ankommen gehabt habe: „Ich habe mich hier sehr offen und herzlich aufgenommen gefühlt, habe keine Fremdheit empfunden. Ich würde mich freuen, wenn sich der Kreis auch noch mehr öffnet für Gemeinschaften aus anderen Traditionen und Konfessionen und vielleicht müssen wir dann auch noch mutiger werden, Schritte über die Grenzen des bisher festgeschriebenen kanonischen Rechts hinaus zu wagen.“

Sr. Katharina Kluitmann, Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz, zog sehr zufrieden Bilanz: „Es waren Tage der Bestärkung im Bewusstsein: Es gibt den Geist, der wirkt, und das Evangelium ist der Boden, auf dem wir stehen. Und dann erleben wir: Die gleiche Quelle, aus der wir leben, treibt sehr unterschiedliche Blüten. Ich muss nicht alles nachvollziehen, aber ich kann mich an allem entzünden! Für die weitere Entwicklung würde ich mir wünschen, dass noch mehr gottgeweihte Menschen aus den neuen geistlichen Gemeinschaften dabei sind.“


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