Queer in der Fokolar-Bewegung
Im Januar 2022 ist sie gestartet, die Initiative „IdeALL“ – und der Name ist Ziel und Weg zugleich: ‚Ideal für alle‘ und bezieht sich auf die Spiritualität, das Charisma der Fokolar-Bewegung, das seine Gründerin, Chiara Lubich gern „das Ideal“ nannte. Da schwingt etwas mit von etwas, nach dem man sich ausstreckt, ein hohes Ziel, das man sich gesteckt hat und das Ansporn ist, nicht vor Hindernissen zurückzuschrecken.
„Alle sollen eins sein“ – auf diese Stelle im Johannesevangelium bezieht sich die Fokolar-Bewegung gern, wenn sie den Kern dieser Spiritualität beschreibt. Doch heißt ‚alle‘ wirklich ‚alle‘?
Kristin Wolf, Kiki für viele ihrer Freund:innen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern, ist seit ihrer Kindheit in der Fokolar-Bewegung engagiert. „Ich bin aufgewachsen in einem katholischen Umfeld und geprägt von den moralischen Grundsätzen, die sich in der Fokolar-Bewegung immer sehr an denen der katholischen Kirche orientiert haben und für die waren gleichgeschlechtliche Beziehungen Sünde, also immer negativ besetzt“.
Zu Weihnachten schreibt eine ihrer beiden lesbischen Töchter ihr einen Brief, der sie sehr betroffen macht. Darin beschreibt sie ihre Zerrissenheit, in einer katholisch geprägten Bewegung und Kirche zu leben, die ihr Leben eigentlich nicht gutheißt. Da hat Kiki beschlossen, Wege zu suchen, Ausgrenzung abzubauen. Sie will helfen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass queere Menschen (‚queer‘ wird inzwischen als Oberbegriff für die verschiedenen sexuellen Identitäten und Orientierungen verwendet) auch in der Fokolar-Bewegung ganz und ohne Diskriminierung willkommen und integriert sein sollten: „Das ist ja die Kern-Erfahrung von vielen, die in der Fokolar-Bewegung engagiert sind und das sollte wirklich für ALLE gelten: Jede und jeder ist gut und geliebt, genau, wie sie und er ist“, erklärt sie. Es gilt, Räume zu schaffen, in denen Menschen lernen, sensibel dafür zu werden, wo sie durch Sprache, durch Verhalten andere Menschen verletzen. „Ich würde mir wünschen, dass Menschen, die hören, dass jemand queer ist, nicht sagen „ach schade“, oder „macht doch nix“, sondern antworten könnten „Toll! Das ist ja schön!“ Es geht aus ihrer Sicht nicht darum, extra-Angebote zu entwickeln, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass queere Menschen überall mit dabei sein können, willkommen sind, dass es normal ist, dass sie mitgestalten. Dafür hat sie sich Verbündete gesucht, Menschen, die selbst queer oder im Familien- oder Freundeskreis eng mit queeren Menschen verbunden sind und nachvollziehen können, wie groß der Leidensdruck bisweilen ist. Manche machen sich schon seit einigen Jahren für mehr Sensibilisierung stark.
Die Initiative #OutinChurch hat mit der Ausstrahlung der berührenden und auch erschütternden Film-Reportage “Wie Gott uns schuf“ Ende Januar 2022 einen Meilenstein in der katholischen Kirche in Deutschland markiert: Erstmals haben sich so viele Menschen gleichzeitig als schwul, lesbisch, trans- oder bisexuell oder einfach übergreifend als queer geoutet, die nicht nur in der katholischen Kirche ihre Heimat haben, sondern auch für sie bezahlt arbeiten. Mit dabei ist auch Isabel Staps, eine junge katholische Theologin, verheiratet und gerade mit ihrer Frau auf dem Pilgerweg unterwegs nach Santiago de Compostela. Vor ein paar Jahren war sie in Mexiko in einem Sozialprojekt der Fokolar-Bewegung und hat auch dort immer wieder erlebt, dass beim Erwähnen ihrer sexuellen Identität viele zurückgezuckt sind. Daran muss sich etwas ändern, findet sie und ist deshalb bei IdeALL mit im Boot.
„Ich erhoffe mir durch unsere Initiative mehr Selbstverständlichkeit im Umgang mit queeren Menschen, was die Sprachfähigkeit angeht. Es geht darum, wie wir über- und miteinander sprechen, aber auch um den Umgang miteinander und die Willkommenskultur.“
Ihr ist wichtig, dass sich nicht nur Freunde und Familienangehörige von queeren Menschen für weniger Ausgrenzung engagieren: „Ich finde wichtig, dass in Initiativen, die sich für queere Menschen stark machen, auch wirklich queere Menschen dabei sind und nicht nur Menschen, die solidarisch sind.“
Dass es für die Fokolar-Bewegung kein leichter Prozess ist, ist ihr bewusst:
„Ja, es ist eine Herausforderung für eine Gruppierung wie die Fokolar-Bewegung, sich mit dem Thema zu beschäftigen und offensiv zu sagen: Wir sind offen für queere Menschen und Ihr seid Teil und seid willkommen und es ist schön, dass Ihr da seid! Gerade weil das in christlich-katholischen Räumen nicht selbstverständlich ist.“
Maria Magerl und Roberto Rossi leben in Wien und sind die Delegierten der Fokolar-Bewegung in der ‚DACH‘-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz). Sie begrüßen die Initiative und sind in intensivem Austausch mit den Engagierten. „Das ist nicht immer leicht und schon bei den ersten Gesprächen, die wir leider nur als Video-Schaltung machen konnten, wurde deutlich, wie sehr wir noch alle im Lernprozess sind. Das fängt bei der Sprache an, die so schnell ungewollt gegenseitig verletzend ist und drückt sich oft aus in großer Unsicherheit, dem Gefühl, auf Glatteis zu gehen“ gesteht Maria Magerl ein.
Und Roberto Rossi ergänzt: „Wir lernen, sensibler zu werden, den Mut zu haben, Fehler im Umgang miteinander einzugestehen, Missverständnisse oder Verletzungen, aber auch unterschiedliche Meinungen zu einzelnen Themen nicht zwischen uns stehen zu lassen, sondern anzusprechen und einander zu erklären“. Im ersten Austausch mit der Gruppe war die Frage aufgekommen, ob es eine eigene Ansprechperson für queere Menschen in der Fokolar-Bewegung geben könnte. Sie könnte sowohl ein offenes Ohr haben für diejenigen, die in der Fokolar-Bewegung Verletzung und Ausgrenzung wegen ihrer sexuellen Identität erlebt haben, als auch bei allen Planungen und Programmen Menschen mit queerem Hintergrund vertreten und sie als Mitgestaltende sichtbar und präsent machen.
„Es wäre schön, wenn es diese Person gar nicht bräuchte, weil jeder sich zu Hause und respektiert fühlt“, bemerkt Roberto Rossi.
Und so nutzen die bisher etwa 20 Mitglieder der Initiative jede Gelegenheit, von ihrem Engagement zu erzählen, von ihren Erfahrungen als Menschen mit queerem Hintergrund oder deren Freunde und Familie zu berichten: in den verschiedenen Gruppen und Kreisen, bei Veranstaltungen, lokalen und überregionalen Begegnungen, in den internen Newslettern und medialen Austauschforen. „Bisher kam vor allem positives Feedback, wir stoßen in unseren eigenen Reihen auf offene Ohren und Herzen“, berichtet Kiki. Interessierte melden sich, informieren sich auf der eigens gegründeten Plattform und nehmen am Austausch in Video-Meetings teil. Die wachsende Sichtbarkeit trägt auch zu mehr Gespräch miteinander bei.
Damit haben auch Claudete Costa de Lima und Gerti Wachmann bereits gute Erfahrungen gemacht. Claudete ist Brasilianerin, hat einige Jahre im Fokolar gelebt und ist 2002 ausgetreten. Sie ist lesbisch und lebt mit ihrer Partnerin in Bellikon, in der Nähe von Zürich. Dort hatte die Fokolar-Bewegung im vergangenen Jahr zu einem Info-Abend eingeladen, bevor die Schweizer Bürger:innen abstimmen sollten über die „Ehe für alle“. Für die Vorbereitung war Claudete eingeladen worden und hatte einige Vorbereitungstreffen mitgestaltet. Die Begegnungen waren nicht immer leicht, es gab unterschiedliche Positionen und Sichtweisen zu dem Thema. Claudete hat offen von ihrer Lebenssituation erzählt.
„Wir sind normale Menschen, wir haben einen Beruf, wir möchten lieben und geliebt werden, so wie alle Menschen“.
Auch Gerti Wachmann hat im Fokolar gelebt – in der Schweiz, jetzt in Wien. Sie hat schon vor einigen Jahren in ihrem persönlichen Umfeld kommuniziert, dass sie lesbisch ist. Anfang 2022 hat sie entschieden, aus der Fokolar-Gemeinschaft auszutreten. Sie möchte ihre queere Identität nicht verstecken und will sich auch öffentlich stärker für größere Offenheit und weniger Ausgrenzung und Diskriminierung einsetzen. „Ich hatte lange den Eindruck, ich muss immer einen Teil von mir verstecken. Wie auch in meinem Beisein über queere Menschen gesprochen wurde, war verletzend und belehrend, so als müsse man immer mal wieder zurechtrücken, wie ja die ‚richtige‘ katholische Lehre sei.“
Gerade hat sie einen Workshop zum Thema Queer-sein auf einem Jugendkongress der Fokolar-Bewegung mitgestaltet und ist froh und optimistisch angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der die jungen Erwachsenen mit Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen leben.
Katharine Zepf aus Nürnberg begleitet schon seit 2015 bewusst junge Menschen aus dem LGBTQ+-Spektrum sowohl im Rahmen der Jugendarbeit der Fokolar-Bewegung als auch im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als geistliche Begleiterin über die Fokolar-Bewegung hinaus.
„Mich beschäftigt schon seit langem die Frage: Wie begleiten wir Menschen auf ihrem geistlich-spirituellen Weg, die sich wegen ihrer sexuellen Identität und Orientierung von unseren und auch den kirchlichen Angeboten ausgeschlossen fühlen?“ beschreibt sie ihr Anliegen, das sie in die Initiative mit einbringt.
Auch sie wünscht sich vor allem eine größere Feinfühligkeit im Umgang miteinander: „Uns sollte bewusst sein, dass immer jemand mit am Tisch sitzen könnte, der oder die sich vielleicht noch nicht geoutet hat. Diese Menschen sollten sich auch in solchen Gesprächen willkommen und mit Wertschätzung behandelt fühlen. Auch ein mitleidiger Ton mit dem Tenor ‚wer weiß, was da passiert ist, dass sie so geworden ist‘ ist extrem verletzend!“
Eine Anlaufstelle für queere Menschen in der Fokolar-Bewegung würde sie begrüßen und formuliert das Bedürfnis aus deren Sicht: „Es braucht Ohren, die mich hören, Menschen, die mich wahrnehmen.“
Auch wenn in diesem Beitrag nur weibliche Stimmen zu Wort gekommen sind, ist die Gruppe durchaus gemischt. So gehört etwa Michael Berentzen, katholischer Priester aus der Diözese Münster inzwischen zum koordinierenden Kernteam. Er schaltet sich per Online-Video aus Rom dazu, wo er gerade seine Doktor-Arbeit schreibt. Er hat in Münster in der Studierenden-Pastoral gearbeitet und ist Mitglied im Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland, in dem er in der Arbeitsgruppe zum „Leben in gelingenden Beziehungen“ mitarbeitet.
Nach der Sommerpause hat sich die Gruppe jetzt erst einmal zur ersten Begegnung „in echt“ verabredet, denn sie kennen sich z.T. bisher nur aus Online-Video-Gesprächen. Wer sich informieren, Kontakt mit der Gruppe aufnehmen oder mitmischen will, ist herzlich willkommen: Es gibt eine Online-Plattform mit viel Info-Material, allen Kontakten, Austauschforen und nächsten Terminen. Es genügt eine Mail an die Gruppe und man erhält eine Einladung: ideall@fokolar.org
Text: Andrea Fleming