„Geschaffen, um zu lieben und geliebt zu werden"
Begegnung von zehntausenden Hindus mit Fokolar-Präsidentin Maria Voce.
Maria Voce, die Präsidentin der Fokolar-Bewegung, besuchte gemeinsam mit dem Kopräsidenten Jesús Morán und einer kleinen Delegation vom Zentrum der Bewegung vier Wochen lang den indischen Subkontinent. Neben dem Eintauchen in die indische Kultur und Lebensweise und der Begegnung mit den zahlreichen Mitgliedern der Fokolare vor Ort, stand der interreligiöse Dialog mit dem Hinduismus ganz oben auf der Tagesordnung.
Bereits in den Jahren 2001 und 2003 besuchte Gründerin Chiara Lubich Indien und begann einen Dialog mit Vertretern der drittgrößten Religion der Welt. Namita Nimbalkar von der philosophischen Fakultät der Universität Mumbai kommentiert: „In unserer Beziehung erleben wir die Einheit jenseits der Unterschiede. Durch alles zieht sich ein roter Faden: die Liebe. Die Sprache der Liebe wird von allen Menschen der Welt verstanden.“
Dabei ist die Sprache der (Nächsten-)liebe nicht unbedingt gängig in dieser uralten Religion. Es herrscht die Überzeugung vor, dass sich das heutige Elend im nächsten Leben auszahlen wird, und das immer noch präsente Kastenwesen lässt nur schwer gesellschaftliche Veränderungen zu. Doch Maria Voce unterstrich in ihrer Rede zu 50.000 Angehörigen der hinduistischen Swadhyaya Bewegung in Kolhapur im Bundesstaat Maharashtra: „Die Liebe ist im Innersten eines jeden Menschen eingeschrieben, wir sind geschaffen, um zu lieben und geliebt zu werden.“ Das bestätigt auch die Erfahrung einiger großer hinduistischer Bewegungen, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Sie ermutigen ihre Anhänger, sich den Nächsten zuzuwenden und den Blick auf die Nöte und Bedürfnisse der Menschen in ihrer Umgebung zu richten. So machten sich 10.000 Ehepaare der Swadhyaya-Bewegung zu einer mehrtägigen Wallfahrt durch die Dörfer auf den Weg. Wallfahrten sind in Indien üblich, das Ziel ist meist ein besonderer Tempel oder der Heilige Fluss Ganges. Aber mehr noch ist der Weg das Ziel, denn es geht um eine spirituelle Gotteserfahrung. Die Swadhyaya Wallfahrer nun fanden diese Erleuchtung, indem sie den bedürftigen Dorfbewohnern von ihrer religiösen Erfahrung erzählten und ihnen konkrete Hilfe und Unterstützung boten. Bei der Abschlussveranstaltung der Wallfahrt sprach Voce auf Einladung der aktuellen Präsidentin der Swadhyaya Bewegung, Didi Talwakar: „Uns verbindet das gleiche Ziel und die gleiche Verpflichtung zu teilen. Dabei sind wir der jeweils eigenen Kultur, Religion und Tradition verbunden. Und doch vereint uns die Liebe Gottes: Sie ist universal und verbindet uns als wahre Schwestern und Brüder.“ Und sie unterstrich, dass in dieser so schwierigen Zeit für unseren Planeten dieses Zeugnis der Einheit in Verschiedenheit Grundlage für einen dauerhaften Frieden sein kann.
Die Delegation aus Rom besuchte auch in Neu-Delhi den Ort, an dem Mahatma Gandhi seine letzten Lebensjahre verbracht und einem Attentat zum Opfer fiel: „Dieser Ort hat etwas Göttliches. Auch wenn er Martyrium und Gewalt ausdrückt, spricht dort alles von Frieden“, beschrieb Voce anschließend ihre Eindrücke.
Die Begegnung mit der Bewegung des Shanti Ashram, die sich auf die Lehren Gandhis beruft und ein großes Sozialprojekt im Süden des Landes ins Leben gerufen hat, hatte fast familiären Charakter. Unter anderem wurde ein Abkommen unterzeichnet, das eine Zusammenarbeit auf akademischer Ebene zwischen der Gandhigram Rural University von Maduri, dem Gandhi-Studienzentrum des Shanti Ashram und dem Sophia Hochschulinstitut der Fokolare in Loppiano / Florenz vorsieht.
Nach einer abschließenden Bewertung der Reise gefragt, betont Kopräsident Morán, was Indien aus seiner Sicht dem Rest der Welt zu geben hätte: „Die Inder lieben den Pluralismus und die Toleranz. Interessant ist jedoch, wie sie diese Werte leben: in inklusiver Weise, d.h. sie geben jedem den benötigten Raum, damit er seinen Glauben mit allen zugehörigen Symbolen und Gesten ausdrücken kann.“ In der westlichen Welt dagegen lebe man Pluralismus in ausschließender Art: Um der vermeintlichen Toleranz willen zeige man nicht, was man ist und was man glaubt, verzichte auf Symbole des Glaubens und der kulturellen Identität. „In Indien habe ich das Gegenteil erlebt: Tolerant sein bedeutet dort: Man gibt dir Raum, dich auszudrücken.“ Und Maria Voce ergänzt: „Das Geschenk, das Indien dem Westen machen kann, ist, das Gespür für Gott zu vermitteln, damit wir Gott wieder wahrnehmen.“